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Kennt ihr die Geschichte der Strohsterne am Christbaum?
Lange ging man davon aus, dass die Geschichte dieses heute so beliebten und als typisch alpenländisch angesehenen Christbaumschmucks sehr weit zurückreicht. Tatsächlich ist die Entwicklungsgeschichte des Strohsterns jünger als man vermuten mag. Unsere Mitarbeiterin Eva Heizmann hat sich hierzu auf eine volkskundliche Spurensuche begeben und ihre Forschungsergebnisse in der aktuellen Ausgabe der Kulturzeitschrift „Da schau her“ des Vereins Schloss Trautenfels veröffentlicht. Der nachfolgende Auszug dieses Beitrags präsentiert erste Rechercheergebnisse und lädt dazu ein, unsere Volkskundlerin auf ihrer Erkundungsreise zu begleiten:
Handgefertigte Strohsterne aus der Südoststeiermark und aus dem Waldviertel gibt es im Steirischen Heimatwerk zu entdecken.
Handgefertigte Strohsterne aus der Südoststeiermark und aus dem Waldviertel gibt es im Steirischen Heimatwerk zu entdecken.
Literaturrecherche zum Strohstern
Der erste Rechercheschritt war der Blick in volkskundliche Publikationen zum Weihnachtsfestkreis und ein Studium der Christbaumschmuck-Fachliteratur. Jedoch waren hier so gut wie keine Hinweise auf den Strohstern zu finden. Selbst Viktor Geramb (1884–1958), der bedeutende steirische Volkskundler und Gründer des Volkskundemuseums, erwähnt den Strohstern in keiner seiner zahlreichen Veröffentlichungen.
Dachbodengeschichten
Als Nächstes ging es zur Recherche in der eigenen Familie. Meine Kindheit war „selbstverständlich“ von einem Christbaum mit vielen Strohsternen geprägt. Doch der Blick in unser Familienalbum zeigte mir, dass der Strohstern auch in unserer Familie auf keine lange Tradition zurückblicken konnte. Das Foto des ersten Christbaums im Elternhaus meines Vaters, in dem ich aufwuchs, zeigt ein kleines Bäumchen mit Zuckerwerk, weißen Kerzen, ein paar wenigen Glaskugeln und viel Engelshaar aus dem Jahr 1939. Der Strohstern, so erzählte mir schließlich meine Mutter, zog bei uns zuhause erst ein, als sie 1972 ins Elternhaus meines Vaters eingeheiratet hat. Sie begann damals damit, den Christbaum mit Strohsternen zu schmücken. Viele davon waren selbst gemacht – zum Großteil hatte sie diese in der Fachschule Oberlorenzen gefertigt, wo sie als Lehrerin tätig war. Als Anleitung dienten ihr damals u. a. die Strohstern-Bastelhefte der beliebten Brunnen-Reihe, erschienen in zwei Folgen 1965 und 1966 im Christopherus-Verlag Herder. Diese Hefte waren damals weit verbreitet und das Basteln von Strohsternen sehr beliebt.
Heimatvertriebene
Schließlich fand ich zufällig im 1997 erschienenen Buch „Steirische Bräuche im Laufe des Jahres“ von Sepp Walter einen wichtigen Hinweis. Er schreibt darin über den Christbaumschmuck in der Steiermark und vermerkt über die Strohsterne: „Vor fünfzig Jahren erschienen dann überall die Strohsterne, die zuerst von Heimatvertriebenen in den großen Lagern angefertigt wurden.“ Bei meinen weiteren Recherchen erfuhr ich, dass es sich bei diesen erwähnten Heimatvertriebenen in der Steiermark zum größten Teil um Donauschwaben aus dem ehemaligen Jugoslawien handelte. Über eine Tradition des Strohsternbastelns ist jedoch bei jenen Heimatvertriebenen bzw. ihren Nachfahren nichts bekannt, vielmehr ist anzunehmen, dass sie erst in den hiesigen Lagern mit der Fertigung von Strohsternen begonnen haben.
Strohhex-Werkstätte in Winterbach
Auf eine andere Spur brachte mich Hans Köhl, ehemaliger Geschäftsführer des Salzburger Heimatwerks. Er erzählte mir, dass im Salzburger Heimatwerk seit dessen Anfängen im Jahr 1946 Strohsterne zuerst als einfache Dekoration im Advent verwendet und nach steigender Nachfrage auch verkauft wurden. Ab den 1950er-Jahren wurde hierfür Strohschmuck von der gewerblich erzeugenden Firma „Strohhex“ aus Deutschland importiert. In den 1960er-Jahren hat schließlich auch Helene Jäger in Weitra (NÖ) mit einer gewerblichen Fertigung begonnen und die Heimatwerke in den Bundesländern mit Strohsternen beliefert. Die Firma „Strohhex“ war mir bereits ein Begriff, denn viele der in den Strohstern-Bastelheften der Brunnen-Reihe abgebildeten Strohsterne und deren Bastelanleitungen stammten aus der Strohhex-Werkstätte in Winterbach bei Stuttgart. Das Dorf- und Heimatmuseum Winterbach hat heute einen Teil des Nachlasses von Gretl Zimmermann, der Gründerin und Inhaberin der Strohhex-Werkstätte, in ihrem Archiv. Aus den vom Winterbacher Heimatmuseum übermittelten Unterlagen konnte ich erfahren, dass Gretl 1911 in Berlin geboren wurde und in Nürnberg aufwuchs. Im Jahr 1938 wurde die ausgebildete Kindergärtnerin gebeten, Weihnachtsschmuck aus Stroh zu fertigen. Es wird erzählt, dass sie damals erstmals mit einem Strohhalm experimentierte und der Zufall „ihr den Strohstern schenkte“. Als sie nach dem Zweiten Weltkrieg nach Winterbach kam, gründete sie dort ihre Werkstätte namens „Strohhex“ und fertigte fortan Strohsterne und -figuren in unterschiedlichsten Variationen an. Viele Frauen fanden bei ihr in Heimarbeit Beschäftigung, um die weltweite Nachfrage nach ihren Strohprodukten decken zu können.
Aargauische Strohindustrie
Eine weitere Fährte führte mich in den Schweizer Kanton Aargau, wo die Region Freiamt bereits seit dem 18. Jahrhundert für ihre Strohkultur bekannt ist. Hier wurden durch eine spezielle Technik des Strohflechtens Hutgarniturartikel gefertigt. Rund 55.000 Personen waren Mitte des 19. Jahrhunderts für die Strohindustrie des Freiamtes tätig. Mit dem Rückgang der Hutmode erfuhr die Strohindustrie in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts ihren Niedergang. Aus dieser Region stammte Anna Hoppler-Keusch, die ähnlich wie Gretl Zimmermann für Deutschland, in der Schweiz als Synonym für die Strohsternerzeugung gilt. Geboren 1927, heiratete sie 1953 Willy Hoppler, der – wie schon seine Vorfahren – für die Strohindustrie Roggen anbaute. 1957 bestellte eine Luzerner Papeterie einen Bund „Strohröhrli“ vom Hof der Hopplers, weil eine Handarbeitslehrerein damit Strohsterne basteln wollte. Angeregt von dieser Anfrage, schuf Anna Hoppler-Keusch 1959 ihren ersten Strohstern, obwohl sie damals noch nie einen gesehen hatte. Hoppler-Keusch gründete bald darauf ihr Stroh-Atelie. In Spitzenzeiten beschäftigte sie fünf Heimarbeiterinnen, um die große Nachfrage decken zu können – einer ihrer Hauptabnehmer war das Schweizer Heimatwerk.
Conclusio
Die einzelnen Mosaiksteine, die bislang zur Geschichte des Strohsterns gefunden werden konnten, zeugen davon, dass der Strohstern eine Erfindung des 20. Jahrhunderts ist. Grundsätzlich wird Stroh bereits seit Jahrhunderten als Werkstoff für Gebrauchsartikel (Schuhe, Hüte, Matten etc.) sowie für Brauchtumselemente (Erntekrone, Julbock) verwendet. Die Armut der 1930er- und 1940er-Jahre dürfte ausschlaggebend dafür gewesen sein, dass Christbaumschmuck nun verstärkt selbst – und aus günstigen Materialen – gefertigt wurde. Ob es für den Strohstern nun eine oder mehrere Erfinder:innen gibt, bleibt allerdings offen. Hierzulande wurde das Basteln von Strohsternen vor allem über die Landwirtschaftlichen Fachschulen und Bildungshäuser vermittelt. Zur Verbreitung der Strohsterne haben sicherlich auch die Heimatwerke in den österreichischen Bundeländern beigetragen, die Strohsterne spätestens ab den 1950er-Jahren in ihr Sortiment aufgenommen haben.
Die Spurensuche ist noch nicht abgeschlossen und es gilt, weitere Mosaiksteine zu finden. Über weitere Hinweise freut sich: eva.heizmann@volkskultur-steiermark.at.
Das Heft „Da schau her“, Ausgabe 4/2023 mit dem vollständigen Beitrag „Strohstern – woher kommst du? Eine weihnachtliche Spurensuche“ kann direkt beim Verein Schloss Trautenfels angefordert werden. Ebenso kann der Beitrag HIER downgeloadet werden.
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