GESCHICHTE & ENTWICKLUNG GESCHICHTE & ENTWICKLUNG | LAMPAS, GAMS UND SCHNEIDERFLIEGE SEITE 18 somit historisierend zu verkleiden, sondern darum, Grundformen überlieferter Kleidung weiterzuentwickeln und für die jeweilige Gegenwart tragbar zu machen. Diese Grundidee ist für die Entwicklung der Tracht in der Steiermark seit dem frühen 20. Jahrhundert und in der Folge auch für die meisten österreichischen Bundesländer typisch und unterscheidet den österreichischen Weg markant von jenem unserer südlichen und östlichen Nachbarländer wie auch anderer europäischer Staaten. Von dort sind uns Trachtengruppen in historischen Gewändern geläufig, die bei Umzügen, Tanzvorführungen oder ähnlichen Anlässen die vergangene Volkskultur ihrer Herkunftsregion präsentieren. Aus dem alltäglichen Straßenbild sind Trachten dort allerdings verschwunden. »Zeitgemäße Steirertrachten« – so lautet auch der Titel der von Geramb 1936 aufgelegten ersten Broschüre zur Trachtenerneuerung für die Steiermark. Dieses noch recht bescheidene kleinformatige Heftchen hebt sich von allen folgenden Unterlagen zur erneuerten steirischen Tracht vor allem dadurch ab, dass darin überwiegend Männerkleidung vorgestellt wird. Das Heft enthält auch eine informative Übersicht über die diversen Grundformen des Männerrockes in unserem Bundesland, wie sie in keiner der folgenden Arbeitsmappen oder -bücher mehr so konzentriert zu finden ist. Gerambs Schülerinnen und Schüler setzten das Vorhaben ihres Lehrers fort und machten sich für die Verbreitung und Vermehrung erneuerter Trachtenformen stark. Ein wichtiger Impuls dafür ging vom Steirischen Gedenkjahr 1959 aus, in dem man des 100. Todestages von Erzherzog Johann gedachte und die Trachtenerneuerung landesweit forcierte. Die im Volkskundemuseum tätigen Volkskundler Sepp Walter (1915–2005) und Gundl Holaubek-Lawatsch (1919– 2015) erschlossen das gesamte Material an Text- und Bildquellen sowie die textilen Anschauungsobjekte aus der Sammlung und leiteten daraus zeitgemäße Erneuerungsvorschläge ab. Gundl Holaubek-Lawatsch war es dann auch, die einen Großteil ihrer aktiven Berufslaufbahn in den Dienst der Trachtenerneuerung stellte und noch im Ruhestand als Konsulentin für den Steirischen Blasmusikverband Musikkapellen trachtlich einkleidete. Die wissenschaftliche Volkskunde hat sich nun schon seit mehreren Jahrzehnten aus der aktiven Trachtenerneuerung zurückgezogen. Diese angewandte Tätigkeit obliegt heute vorrangig dem Steirischen Heimatwerk für die Frauentrachten, bei den Männertrachten übernehmen diese Aufgabe vom Land Steiermark beauftragte Schneidermeister, die über das einschlägige Spezialwissen verfügen. Seit 2002 haben Schneidermeister Hubert Fink aus Gratkorn und Schneidermeister Hans Woschner aus Leoben diese Funktion inne. Ihre Hauptaufgabe besteht in der Beratung von Blasmusikkapellen hinsichtlich einer neuen Vereinskleidung. Hubert Fink nimmt sich zusätzlich der Erneuerung von Regionalund Ortstrachten an. Die umfangreiche Textil- beziehungsweise Trachtensammlung des Volkskundemuseums in Graz, die im Museum befindlichen Bild- und Textquellen sowie die in der Museumsbibliothek verfügbare Fachliteratur bieten aber nach wie vor die Grundlage für eine weitere Erforschung der Tracht. Trachtendarstellung aus dem Buch »Alte Volkskunst – Steirische Trachten« von Gundl Holaubek-Lawatsch, 1983: Voitsberger Sonntagsrock.
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